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Interview mit Nihad Nino Pušija

13. Juli 2020

„Queen Kenny war eine Institution“

Bis zum 26. Oktober präsentiert die Ausstellung  „Queens“ im SMU die Bilderserien von Nihad Nino Pušija aus dem queeren, (post-)migrantischen Nachtleben im Berlin der 1990er Jahre. Wir sprachen mit dem Künstler über die Atmosphäre im SO36, den Tuntenball und Queen Kenny. Nihad Nino Pušija ist in Sarajevo geboren, studierte Journalismus und politische Wissenschaften an der Universität Sarajevo und arbeitet als freier Fotograf. Seit 1992 arbeitet und lebt Nino in Berlin und hat unter anderem für die nGbK, das MEK sowie für die Allianz Kulturstiftung Projektarbeiten realisiert.

SMU: Die Ausstellung ,,Queens‘‘ bebildert mit deinen Fotos die (post-)migrantische und queere Partyszene im Berlin der 1990er Jahre. Viele deiner Bilder zeigen Queen Kenny. Wie bist du in diesen Mikrokosmos geraten und wer war Queen Kenny?

Nihad Nino Pušija: Da kommt man durch Begegnungen rein. Von den geflüchteten Menschen bin ich zu den auf den Straßen lebenden Leuten gekommen, dann zu den Punks. Im Kreuzberger Café Anfall hab ich dann Queen Kenny kennengelernt. Sie war für mich erstmal eine ungewohnte Erscheinung. Da wo ich herkomme, sah man nicht jeden Tag eine zwei Meter große Schwarze Person in Rock, die am Tresen arbeitete. Und ich war erstmal fasziniert, wir haben geredet und zusammen getrunken. Das Café Anfall war damals in der Gneisenauer Straße, nicht so weit Weg vom damaligen Standort des SchwuZ und des Schwulen Museums. Die Gegend war damals sehr geprägt von der queeren Szene. Es kamen auch immer wieder Leute zu Kenny in die Kneipe, so hab ich dann auch Lady Hilary kennen gelernt, von der auch Bilder in der Ausstellung zu sehen sind.  Und dann bin ich mit zu verschiedenen Veranstaltungen gekommen, die Kenny moderiert hat. In erster Linie wollte ich Portraits von Kenny machen, das war der Anfang. Ich bin Portrait-Fotograf, Leute die ich interessant finde, will ich erstmal kennenlernen. Kenny hat dann gesagt, ,,wenn du noch mehr machen möchtest, dann komm doch vorbei! Ich moderiere bei dem Tuntenball im Hotel Berlin und bei der Modeschau AVE‘‘.

Nihad Nino Pušija: Queen Kenny bei den Teddy Awards im SO36, 1996

Berlin war für dich immer ein großes Thema. Neben der damaligen queeren Szene hast du in den 1990er Jahren zum Beispiel auch den Palast der Republik kurz vor seinem Abriss fotografiert; oder geflüchtete Roma-Personen, die der Krieg im Kosovo nach Berlin gebracht hat und die mit Flüchtlingsausweisen um den Hals im Bus sitzen. Was hält für dich diese Bilder zusammen?

Erstmal vereint diese Bilder, dass ich sie gemacht habe. Die Fotos entstehen in einem Prozess, in einer subjektiven Sammlung von Dingen, die in meiner Umgebung sind. Das heißt, entweder Menschen, Städte oder Orte. Und ich fotografiere gerne gleiche Orte und gleiche Menschen immer wieder zu verschiedenen Zeitpunkten. Mir geht es dabei um die Dokumentation. Die Fotografie ist für mich eine Zeitaufnahme von Veränderungen. Und gerade Berlin war damals sehr interessant für mich, das hier war die ,City of Transition‘. Es gab alles zweimal, die Nationalgalerien, zwei historische Museen und genauso war das mit den Szenen. Es gab eine Punk-Szene in Ostberlin, eine in Westberlin und die haben sich schon in den 80er Jahren ein bisschen angenähert. Aber so richtig sind die Szenen aus beiden Teilen Berlins erst in den 90ern zusammengekommen. Diese Transition wollte ich festhalten.

Wann ist ein Motiv für dich spannend?

Alles, was nicht Mainstream ist, das kommen meine Themen her. Ich habe keine Lust, mich mit dem Mainstream zu beschäftigen. Deswegen waren diese ganzen Subkultur-Szenen für mich interessant. Darum war ich bei Transsexuellen, bei Glamour-Leuten, bei Drags und Queens, bei Punks oder bei Geflüchteten. Das sind alles Gruppen, die sich am Rande der Gesellschaft befanden.

Kannst du die Atmosphäre damals im SO36 beschreiben? Warum gab es dort eigentlich speziell Black Gay Nights?

Queen Kenny hat sehr viel gelesen und mir dann erzählt, worum es bei den Black Gay Nights gehen sollte, über die Bewegung von Schwarzen, Intellektuellen und Dichtern. Und Kenny hatte Kontakte zum SO36 und dann dort angefangen diese Nächte zu organisieren. Das war großartig vom SO36, dass sie ihm das ermöglicht haben. Das hätten damals nicht so viele andere Clubs gemacht. Das war Pionier-Arbeit von Kenny, definitiv. Aber bei den Black Gay Nights waren tatsächlich nicht so viele People of Color, das waren vielleicht zehn Prozent. Trotzdem war das sehr wichtig, weil Menschen dort was gelernt haben. Auch die Verleihung des Teddy-Awards, dem LGBTQ-Award der Berlinale, fand damals im SO36 statt. Der Ort hat schon sehr wichtige Beiträge geliefert. Viele Leute denken, Schöneberg wäre das Capital of Gay in Europa, aber für mich nicht, für mich war das immer Kreuzberg. Das war avantgardistischer, trashiger, besser. Es war einfach eine wilde Mischung. Und in Schöneberg ging man in die TomTom-Bar und irgendwie sahen alle gleich aus. In Kreuzberg kamen alle zusammen: Da war ich als Geflüchteter, da kamen Frauen, da waren Heteros, einfach alle.

Nihad Nino Pušija: Black Gay Nights in SO 36, 1996

Wie wurde der politische Anspruch Queen Kennys bei den Black Gay Nights umgesetzt?

Queen Kenny war schon immer eine Institution. Charmant, militant, ein besonderes Element der Schwarzen Schwulenszene in Berlin. Seine Idee war es, nicht die schwere Geschichte der Schwarzen zu betonen, sondern diese erlebbar zu machen, mit Musik, Tanz, Theater, Lesungen und Perfomances, immer verbunden mit Glamour. Zusammen mit Rik Maverik und Todd Fords ,,Magic 3‘‘ war Queen Kennys Black Gay Night das innovativste Element, das die (post-)migrantische Community zur Geschichte der Berliner Queer Community beigetragen hat. So in etwa steht es auch in dem Buch ‚,SO36 – 1978 bis heute‘‘,  herausgegeben vom Sub Opus 36 e.V. – und ich finde, das trifft es ganz gut.

Wie haben die Gäste der queeren Parties auf dich als Fotografen reagiert?

Da gab’s unterschiedliche Momente. Der Tuntenball zum Beispiel war was anderes, das war ein bisschen glamouröser und schicker. Da sind Leute hingegangen, die nicht jeden Abend Drags und Queens waren, sondern sowas nur für diesen Abend gemacht haben. Heute ist das was anderes, aber damals war es total unüblich, dass man jemanden mit Bart in einem Rock oder Kleid gesehen hat. Für mich war das eine sehr fotogene Situation und ich habe auch selten ablehnende Reaktionen bekommen, weil die Leute mich von Anfang an mit Kenny gesehen haben. Dadurch bin ich auch gleich im Backstage gewesen und hab meistens einen Button bekommen, der bedeutete, dass ich zur Crew gehörte. Aber manchmal hab ich den auch so ein bisschen versteckt, damit die Leute nicht dachten, ich wäre von der Presse oder so. Dann machen die Leute da ungern mit, verdecken ihr Gesicht. Es ist generell nicht einfach an solchen Orten Fotos zu machen.

Nihad Nino Pušija: Tuntenball im Hotel Berlin, 1997

Wo ist Queen Kenny heute?

So um 1998 hab ich Kenny mal wieder gesehen. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich sehr auf eine ursprünglich afrikanische Religion, die Yoruba Religion konzentriert, das geht schon fast in Richtung Vodoo. Weil es hier in Berlin viele Gläubige dieser Religion gibt, die aber keinen Priester hatten, wollte er sich dann zu einem solchen ausbilden lassen. Ich hab ihn dann irgendwann mal wieder gesehen, komplett in weiß und mit langem Bart. Er war unter anderem in Kuba und hat dort die ganzen Rituale dieser Religion gelernt. Ja und irgendwann ist er verschwunden, dann haben wir ihn nicht mehr gesehen. Jemand aus dem Freundeskreis hat gesagt, er ist zurück in die USA, andere haben das Gegenteil gesagt. Es ist unklar, was aus ihm geworden ist.

Was ist dein persönliches Lieblingsbild in ,,Queens‘‘?

Mein Lieblingsbild in der Ausstellung ist Queen Kenny mit den zwei Gogotänzern im Backstage. Einer der beiden Tänzer verhüllt sich. Dieses Bild zeigt, wie schwierig es damals war, sich zu outen, noch dazu als Schwarzer. Vor 25 Jahren war die Situation sehr anders als heute.

Nihad Nino Pušija: Queen Kenny mit zwei Go-Go-Tänzern bei der Black Gay Night im SO36, Berlin, 1996

Interview: Harriet Riemer & Carina Klugbauer; alle Fotos: Nihad Nino Pušija
Website von Nihad Nino Pušija: http://www.fotofabrika.de/