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Stellungnahme: Homophobie in Wissenschaft und Hochschulwesen

8. Juni 2016

Siegfried Wagner, Homosexualität als Forschunsgegenstand und die Publikationsreihe Musik-Konzepte

Für Februar 2017 plant das Schwule Museum* Berlin eine Ausstellung über den Komponisten Siegfried Wagner (1869-1930): homosexueller Sohn und künstlerischer Erbe seines Vaters Richard, langjähriger Leiter der Bayreuther Festspiele, Dirigent der Werke seines Vaters und Großvaters Franz Liszt sowie Komponist mehrerer eigener Opern, die zu seinen Lebzeiten erfolgreich und mit prominenten Künstlern uraufgeführt wurden und heute vereinzelt wiederentdeckt werden.

Im Zusammenhang mit der Ausstellung hat das Museum offiziell bei der musikwissenschaftlichen Reihe Musik-Konzepte und deren Herausgeber Prof. Dr. Ulrich Tadday angefragt, ob es möglich wäre, zur Ausstellung (oder zu einem späteren Zeitpunkt) Siegfried Wagner einen MK-Band zu widmen. Bei der Gelegenheit wurde dem Herausgeber eine mögliche provisorische Themenliste mitgeliefert. Dort fanden sich Vorschläge zu Aufsatzthemen: Werkanalysen, Fragen zur Art der Festspielleitung und zur Zusammenarbeit Siegfried Wagners mit schwul-lesbischen Künstler_innen, zur Stellung homosexueller öffentlicher Personen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts usw. usf. Bekanntlich hat der öffentliche Druck auf Siegfried Wagner dazu geführt, dass er Winifred Marjorie Williams heiratete; diese führte die Bayreuther Festspiele nach dem Tod ihres Mannes direkt in die Arme der Nationalsozialisten, mit den bekannten desaströsen Folgen. Die gemeinsamen Kinder Wieland und Wolfgang leiteten jahrzehntelang die Festspiele nach 1945, Wieland in ständiger Furcht, homosexuell „werden“ zu können, weil Siegfried Wagners ältester [illegitimer] Sohn Walter Aign homosexuell war und seine Schwester Friedelind lesbisch. Siegfrieds Enkelin Katharina ist die heutige Festspielleiterin.

Prof. Tadday stellte unseren MK-Vorschlag seinem wissenschaftlichen Beirat vor, bestehend u. a. auf Professor_innen und Komponist_innen wie Detlev Glanert, Birgit Lodes (Uni Wien), Laurenz Lütteken (Uni Zürich), Georg Mohr (Uni Bremen) und Wolfgang Rathert (Uni München). Deren einstimmige Ablehnung des Themas Siegfried Wagner wurde so begründet:

Nach eingehender Rücksprache hat sich der Beirat der Musik-Konzepte einstimmig gegen einen solchen Band ausgesprochen. Als Herausgeber schließe ich mich dem Votum an, dass die Musik des Komponisten, nicht aber seine sexuelle Orientierung bei der Entscheidung für oder gegen einen Band eine Rolle spielen darf. Diese Haltung beugt jeder Form von Diskriminierung vor.

Diese sich „gegen Diskriminierung“ aussprechende Haltung ist allerdings – in der Realität – eine massive Diskriminierung. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Sexualität eines Menschen wichtig für dessen Lebensplanung und das Verständnis von dessen künstlerischen Werken/Taten ist.

Anlässlich eines Berichts über das im Januar 2016 in Bremen abgehaltene Symposium „Musik und Homosexualität – Homosexualität und Musik“ (initiiert vom Bremer Professor und Musikwissenschaftler Michael Zywietz, in Kooperation mit Priv.-Doz. Dr. Kadja Grönke) ist in den aktuellen Mitteilungen der Tschaikowsky-Gesellschaft zu lesen:

„Das zentrale Ergebnis der Tagung bestand darin, dass das Einbeziehen der Kategorie Homosexualität in die Betrachtungen musikalischer und musikwissenschaftlicher Zusammenhänge zwar außerordentlich erkenntnisstiftend sein kann, dass es aber keinen allgemeingültigen methodischen Zugang gibt. Die Mehrdimensionalität des Gegenstands bedarf vielmehr eines auf den individuellen Untersuchungsgegenstand abgestimmten Erkenntnisinteresses, einer ausdifferenzierten Fragestellung und eines möglichst facettenreichen, interdisziplinären wie transdisziplinären Ansatzes, der das musikwissenschaftliche Handwerkszeug einschließt.“

Dem verschließt sich der Beirat der bei der edition text + kritik erscheinenden Serie offensichtlich. In vorangegangenen Bänden, die sich mit bekannten und offen homosexuellen Komponist_innen wie Hans Werner Henze und Aribert Reimann befassten, kommt das Thema Homosexualität entsprechend nicht zur Sprache.

Auf Nachfrage ergänzte Professor Tadday:

„[N]atürlich ist die Sexualität nicht erst seit Freud wesentlicher Bestandteil der menschlichen Existenz. Allerdings möchte ich zu bedenken geben, dass die Problematisierung von Homosexualität das Problem wieder erschafft, das es zu lösen gilt. Mann [sic] sollte diesen Teufelskreis durchbrechen. Wenn Siegfried Wagner Werke es aus musikalischen Gründen wert sind, besprochen zu werden, sollte es egal sein, ob hom[er] osexuell oder was auch immer war.

Eine Beschäftigung mit den Werken Siegfried Wagners wurde allerdings in diesem Zusammenhang auch abgelehnt.

Erstaunlich und erhellend ist hier außerdem die Reaktion auf den Gebrauch gendergerechter Sprache (Beispiel: „Komponist_innen“) von Seiten des Schwulen Museum* in unseren Emails. Bekanntlich bemüht sich das SMU* um Inklusion aller Gender- und Geschlechtsgruppen und eine entsprechende Sprache. Dieses Vorgehen von Seiten des SMU* entspricht übrigens dem Leitfaden der Bremer Hochschulen; Ulrich Taddy ist Landesvorsitzender des Deutschen Hochschulverbandes (DHV). Sein Kommentar zur entsprechenden Formulierung in unserem Schreiben:

Die Gender-Sprache, die Sie am Ende gebrauchen, mag ich im [Ü]brigen auch nicht, auch sie baut Barrieren auf und nicht ab.“

Dieses letzte Statement war der finale Anstoß fürs Museum, offiziell Stellung zu beziehen und gegen diese regressiven Diskurse und die Verlogenheit der Argumente zu protestieren. Im Übrigen auch mit der Unterstützung der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft e. V..

Wir hätten in einem wissenschaftlichen Diskurs im Jahr 2016 erwartet – der sich immerhin im deutschen Hochschulwesen und innerhalb der wissenschaftlichen deutschen Verlagslandschaft abspielt – dass derartige aus der Zeit gefallene Argumente nicht mehr vorkommen bzw. dass sie nicht noch wie ein Abwehrschirm vor sich hergetragen werden.

Natürlich bedauern wir das Nichtzustandekommen eines Musik-Konzepte-Bandes zu diesem Zeitpunkt. Wir finden jedoch die Begründung der Ablehnung in dieser Form nicht hinnehmbar. Vor allem möchten wir nicht, dass ein solches Verhalten und Argumentieren unbemerkt von der Öffentlichkeit in den stillen Kammern des Wissenschaftsbetriebs verborgen bleibt.