Lange Fingernägel von Fake-Lesben im Hetero-Porno. Frauen, die Frauen mit Dildos penetrieren. Leder, Lack und blaue Flecken. Sex mit Blümchen.
Hinter jedem dieser Bilder stecken jahrzehntelange feministische Debatten, von den ersten Anfängen in den Selbsterfahrungsgruppen der 1970er Jahre, über die massiven Auseinandersetzungen in den „Sex Wars“ der 1980er, bis hin zur mehr oder weniger sexpositiven Gegenwart. Die Antipornografie-Bewegung arbeitete heraus, dass die heterosexuelle Standard-Pornografie bestehende patriarchale Machtverhältnisse reproduziert und dass die sexuelle Kultur von Frauen mit den angeblich genitalzentrierten und auf penetrativen Sex fokussierten Vorlieben der Männer nicht harmoniert.
Sex sollte fundamental gleichberechtigt und antiphallisch von statten gehen und frei sein von häufig als gewaltvoll erlebter männlicher Sexualität. Diese Konzeption von weiblicher Sexualität als nährend und harmonisch clashte mit lesbischen Sexpraktiken, die Dildo-Penetration, Rollenspiele und BDSM involvierte. In den Zeiten der AIDS-Krise, in denen einerseits eine neue Welle der Homophobie die Gesellschaft erfasste und andererseits der bürgerrechtlich orientierte, auf Assimilation zielende Flügel der homosexuellen Emanzipationsbewegung langsam die Oberhand gewann, begannen sich viele Lesben von der lesbischen Bewegung abzuwenden, die ihnen zu homogen, weiß, mittelschichtig, anti-schwul und anti-sexuell war, sie schlossen sich queeren Bündnissen an und bezeichneten sich fortan (auch) als „queer“.
Inzwischen haben die Sexpositiv-Aktivist*innen PorNo in PorYes gewandelt und die öffentliche Darstellung von sexueller Lust von Frauen* zu einer Form von Empowerment gemacht. Ein breites Repertoire von ästhetischen Strategien kommt zum Einsatz. Allen gemein ist die strikte Ablehnung von Sexismus und Diskriminierung und das Verständnis, dass Körper, Geschlecht_er und Sexualität_en die Triebkraft für öffentlichen und privaten Widerstand gegen ein hetero-kapitalistisches, phallozentristisches System sind.
Feminist Porn, Queer Porn und Post Porn sind lustvolle Spielräume für zeitgenössische Körper- und Gesundheitspolitiken, sie verkörpern nichts weniger als intersektionale feministische, trans*- und queerfeministische Theorie und politischen Aktivismus. Sexuelle und körperliche Selbstbestimmung stehen im Fokus, alle Formen der Normierung von Körpern, Rollen und Phantasien werden dekonstruiert. Ein bewusster Umgang mit Safer Sex wird genauso thematisiert wie Care-Aspekte. Es geht nicht nur um sexuelles Vergnügen, sondern auch darum, den politischen Muskel zu trainieren und zu erforschen, was dieses Vergnügen überhaupt sein soll. Zunehmend rücken auch die Umwelt(en) statt der Genitalien in den Fokus: Ethical Porn erklärt faire Produktionsbedingungen zu einem seiner obersten Ziele, Post Porn wird im Kollektiv entwickelt, Cyberfeminist*innen erweitern den menschlichen Körper um künstliche Lustapparaturen, Ecosexuals haben Sex mit den Naturelementen, Punk Porn fickt das System. Eine befreite Sexualität ist eine der stärksten Waffen, die wir haben.
Im Programm laufen zwei Dokumentationen und eine Zusammenstellung internationaler Kurzfilme.
Die Kurzfilmrolle bietet einen Überblick über künstlerischen Porn, Performance Art und Erotic Video Art: von Ecosex bis Bondage, mit intimen Momenten, expliziten Szenen und dokumentarischer Distanz.
Die Filme des 9. Mondprogramms
Yes, We Fuck!
Antonio Centeno, Raúl de la Morena
2015, 60 Min., Spanien, Spanisch mit englischen Untertiteln
Die Dokumentation YES, WE FUCK! von Antonio Centeno und Raúl de la Morena thematisiert Sex und Dis/Ableisierung und zeigt, dass Sexualität allen gehört. In sechs Episoden schildern Menschen, die in der Gesellschaft beHindert werden, ihre Erfahrungen, Vorstellungen und Ideen und ermöglichen einen erweiterten Blick auf menschliche Sexualität und Körper. Der Film ist zugleich ein partizipatives Projekt, dass der Vernetzung von verschiedenen Gruppen und Kollektiven dient, die sich politischen Problemen im Zusammenhang mit Körper und Sexualität widmen (functional diversity, Feminismus, Trans*feminismus, LGBT, Queer, Intersex, fat activism usw.).
© Antonio Centeno, Raúl de la Morena, 2015
Water Makes Us Wet – An Ecosexual Adventure
Beth Stephens, Annie Sprinkle
2017, 80 Min., USA, Englisch
Mit ihrem neuesten Ecosexual-Dokumentarfilm WATER MAKES US WET – AN ECOSEXUAL ADVENTURE, der letztes Jahr bei der documenta 14 zu sehen war, machen die Künstlerinnen Beth Stevens und Annie Sprinkle, die Goddess of Post Porn herself, ökologischen Aktivismus sexy. Nach dem preisgekrönten Dokumentarfilm Goodbye Gauley Mountain – An Ecosexual Love Story zum Thema Kohle, nimmt sich Water Makes Us Wet mit einer poetischen Mischung aus Neugier und Humor, Sinnlichkeit und Besorgnis der Lust und Politik von H2O aus ökosexueller Perspektive an. Es geht um umweltpolitische Gefahren und gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit, aber dabei nicht um Unheil, Düsternis und Schuld, sondern um sinnliches Vergnügen und Freude im Umweltaktivismus – erotisch, queer und unwiderstehlich.
Lupine, my lover
Jo Pollux, Rayh Castor
2018, 5 Min., Norwegen
Eine ökosexuelle Romanze. Ein queeres Märchen zwischen Lupinen – einer polymorphen Pflanze, sowohl Phallus als auch Vulva – und ihren menschlichen Lovern.
Hello Titty
Skyler Braeden Fox
2014, 15 Min., Deutschland, Englisch
Ein persönlicher und politischer Film über Trans*identitäten, queere Sexualitäten, Feminismus und Skylers eigenen Transitionsprozess. Er nimmt die Betrachtenden mit auf eine schillernde Reise zu seinen sexuellen Abenteuern am letzten Tag als Titten-tragende Trans*person. Neben Skylers eigenen kürzlich entfernten Titten ist der Film jedem Trans*mann gewidmet, der seine Titten liebt oder geliebt hat.
Compartment
Eva Heldmann
1990, 5 Min., Deutschland, Englisch
London. Eine U-Bahn rast. Die Wagen sind leer. In rhythmischen, schnellen Bewegungen peitscht das von außen hereinfallende Licht auf die Sitze und Gänge. Gummigriffe zum Festhalten schaukeln. Ein unheimlicher, sich erregend bewegender Raum.
Eine Frau umwickelt in Schwarz, peitscht sich in rhythmischen Bewegungen selbst. Sie kippt aus dem Bild. Eine Stimme spricht in Englisch, wie beiläufig, einen obszönen Text.
Die Musik – mit kindlicher Melodie – zischt, rattert und seufzt.
Tribute
Max Disgrace
2017, 7 Min., Großbritannien, Englisch
“Tribute” stellt die Idee eines lesbischen Cruisings-Orts in London als direkte Antwort auf Annette Kennerley’s Kurzfilm “Sex Lies Religion” von 1993 neu vor. Zu einer Zeit, in der es in London an Orten für Dykes mangelt, an denen sie ihre Sexualität frei ausleben können, materialisiert “Tribute” in filmischer Form einen fantastischen Ort. Der Film wurde in demselben historischen Cruising-Gebiet gedreht, den Kennerley Jahrzehnte vorher für ihren Film ausgewählt hatte.
INTI SIKI – SUN ASS
Hector Acuña/Frau Diamanda
2015, 3 Min., Peru
Eine ökoqueeres Ritual als Hommage an den historischen Mythos dreier großer Vulkane in der Region von Arequipa im südlichen Peru: Misti, Chachani und Pichu Pichu und ihrer ewigen Ménage-à-trois.
Fluídos Sudakas
Fluidos Sudakas Collective
2017, 19 Min., Deutschland, Spanisch mit englischen Untertiteln
Eine Gruppe von Sudakas und nichtwestlichen Leuten versammelte sich zu einem Workshop, um gemeinsam einen Porno zu entwickeln. Diese Dynamik erzeugte sexuelle Selbsterkenntnis und Handlungsfähigkeit. Durch Aktionen kollektiver Selfcare und Selbstverteidigung begegnete sie ihren Frustrationen mit dem Westen.
Neurosex Pornoia 2
Eric Pussyboy, Abigail Gnash
2015, 10 Min., Deutschland, Englisch
Z_1021 ist in einer Spirale von Verzweiflung und Frustration gefangen, eingesperrt in einer neurologisch verbesserten Gesellschaft. Einzig befreiende Momente findet Z_1021 in Neurosex-Codes. Erschaffen von einer Untergrund-Szene mit einer geheimen Infrastruktur, reizen sie mit der Verheißung auf extremes Lustempfinden auf eigene Gefahr.
Full
AORTA films
2017, 14 Min., USA, Englisch mit englischen Untertiteln
Zwei heiße Femmes tauschen sich über die komplexen Freuden des Fat Femme Sex und über Identität_en aus, während sie sich über einen saftigen Granatapfel hermachen. Enthusiastisch tauchen sie ein ins Ficken und Fisten mit wilden Orgasmen. Diese Babes sind eloquent, voller Begehren und großzügig genug, uns in das große Geheimnis einzuweihen.
Authority
Marit Östberg
2009, 16 Min., Schweden/ Deutschland
Eine Frau wird beim sprayen eines Wandgraffitis von einer Polizistin erwischt. Sie flieht, die Polizistin nahe hinter ihr. Möglicherweise kennt die Polizistin ihr eigenes Schicksal bereits während sie die Verfolgung aufnimmt. Vielleicht gehorcht sie dem Willen der Sprayerin. Eins ist klar: jemand muss bestraft werden.
Ritual and Worship
Morgana Muses
2017,15 Min., Australien, Englisch mit englischen Untertiteln
Ein kurzes Doku-Portrait porträtiert Caritia, eine in London geborene, in Berlin lebende Fürsprecherin des Sexpositivismus, Domina und Künstlerin mit afrokaribischen Wurzeln, wie sie einen ihrer BDSM-Workshops vorbereitet. Eine intime Dokumentation über ihre Philosophie und Praxis.
Team
Kuration: Vera Hofmann
Projektassistenz: Felix Roadkill
Szenographie mit Carolin Dießner und Théo Demans
12 Monde wird im Rahmen des Projekts Jahr der Frau_en von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert.